Endlich Sommer! Auch für das politische Berlin. Bis Mitte September tritt der Bundestag nicht zusammen. Zeit, um nach einem superstressigen Halbjahr - gehetzt von der Eurokrise, übermüdet von Nachtsitzungen, entnervt von renitenten Notenbankchefs - in die Ferien zu fahren. Alle Mann und alle für sich, besser ist das.
Unsere Spitzenpolitiker zeigen sich im Urlaub mal mehr, mal weniger gerne im legeren Freizeit-Outfit, für einige gehört das Imagebildung. Wir haben uns gefragt: Wohin fahren sie denn? Und warum? Welche Bücher sollten sie auf dem Nachttisch haben? Ein kleiner, nicht immer ernst gemeinter Überlick:
Sahra und Lafo auf Balkonien, Saargau
Kurt Beck bei de Leut' an der Mosel
Kanzlerin und Herr Sauer am Ortlermassiv
WMM: Westerwelle, Mronz, Malle
Wer?
Sahra Wagenknecht, Vorzeige-Linke, mit Lebensgefährte Oskar Lafontaine
Wohin?
Nach Nirgendwo. Beziehungsweise Balkonien. Das relativ frisch verliebte Politikerpaar bleibt im Saargau, genauer: im Silwingen, einem 400 Einwohner zählenden, nun ja, Stadtteil von Merzig. Dort haben die beiden erst vor wenigen Wochen ein Haus bezogen. Für kulinarische und kulturelle Abstecher bietet sich Frankreich an. Zur Grenze sind es von Silwingen nur acht Kilometer.
Was wollen sie da?
Hämmern und Picheln. Gibt natürlich, wie es sich gehört, guten Roten im Haus – und im Übrigen einiges zu tun nach dem Einzug. Wobei Wagenknecht die Arbeitshosen anhat. Beim Aufbau von Ikea-Möbeln sei sie Oskar überlegen, "darin habe ich einfach mehr Übung." Der Rest der Arbeit wird gerecht geteilt: Sie schreibt an ihrer Dissertation, er kümmert sich um das Essen.
Was wollen sie uns damit sagen?
"Wer nichts zu bieten hat, soll doch einfach in Urlaub fahren." Hat Oskar den zerstrittenen Genossen kürzlich zugerufen. Damit ist eigentlich alles gesagt. Die unterschwellige Botschaft lautet: Während die Kanzlerin in Südtirol und auf Festspielen rummerkelt, wissen wir in diesen Krisenzeiten, wo unser Platz ist. Wir arbeiten weiter an Lösungen zur internationalen Finanzkrise und an der Entmachtung der Märkte.
Wiederholungstäterfaktor?
Gering. Wenn die letzte Zeile geschrieben, das letzte Billy zusammengeschraubt ist, geht´s sicher wieder hinaus in die Welt. Vor gut einem halben Jahr war das Paar zusammen auf Madeira.
Was wäre auch mal nicht schlecht?
Galapagos. Ist echt weit weg. Es stört einen keiner. Und man selbst auch nur ein paar Warane.
Lektüreempfehlung?
Was, bitte, empfiehlt man zwei Menschen, die schon so ziemlich alles gelesen haben, was man so lesen muss, literarische wie die anderen Klassiker? Vielleicht mal was richtig Hartes: Don Winslows Thriller "Zeiten des Zorns". Ein echt blutiger Krieg, dabei geht's nur um Drogen, nicht um Doktrinen oder Parteivorsitze. Kernsatz: "Du hast dich selbst zu dem gemacht, der du jetzt bist."
Kurt Beck bei de Leut' an der Mosel
Kanzlerin und Herr Sauer am Ortlermassiv
WMM: Westerwelle, Mronz, Malle
Wer?
Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, mit Ehefrau Roswitha
Wohin?
An die Mosel. Nach Cochem, wo sich der Fluss besonders idyllisch windet. Schön übersichtlich. Viel Fachwerk, viel Natur. Fast schon kitschig. Braucht man von Mainz nur anderthalb Stunden mit dem Wagen hin. Stammgast im "Romantikhotel Keßler-Meyer", wo er sich die Zuneigung der zotteligen Collies des Hoteliers mit zugesteckten Würstchen gesichert hat. Die sollen immer ganz traurig sein, wenn er abreist.
Was will er da?
Tja, was will er da eigentlich? Abstand gewinnen von Rücktrittsgerüchten. Leihhund Cameron ausführen, bisschen ausschlafen, bisschen wandern, bisschen radeln, 100 Kilometer strampelt er an guten Tagen weg, in manchem Sommer radelt er sich dabei ein paar Kilo vom Leib. Und: In Ruhe und ohne Termindruck mit "de Leut'" schwätzen. Wenn Regieren für den Volksversteher Beck eine Art Dauerwahlkampf mit anderen Mitteln ist, dann sind die Ferien auch nur eine andere Form des Regierens. Nur möglichst ohne Stress und Akten. Normalerweise klappt das.
Was will er uns damit sagen?
Ich bin und bleibe einer von euch. Luxus ist nur was für Menschen, die sich nichts Nettes leisten können. Was die Merkel kann, kann ich schon seit langem - und viel näher. Deshalb: Bleibe im Land und erhole dich redlich - auch wenn er diesmal von Urlaub eher "nicht reden" mag, weil ständig neuer Ärger um das Pleiteprojekt Erlebnispark Nürburgring hochkocht. Andererseits: Andalusien hat auch was. Da reist er gern hin, wenn das Wetter in Deutschland so biestig ist wie Beck im Moment.
Wiederholungstäterfaktor?
Extrem. Er hat's gern gewohnt. Nächstes Jahr macht er das Cochemer Dutzend voll - am Stück. Wahrscheinlich kennt er inzwischen jeden einzelnen der 5000 Cochemer persönlich. Und jeden Hund.
Was wäre auch mal nicht schlecht?
New York. Wo's brummt und brodelt. Entspräche ja seinem derzeitigen Gemütszustand. Und es wär' echt mal was anderes.
Lektüreempfehlung?
Dirk Kurbjuweit: "Nicht die ganze Wahrheit". Spielt im ihm verhassten Berliner Politikgetriebe und zeichnet, so Rezensent Rainer Moritz, ein vertrautes "Bild vom Innenleben jener, die nach (politischer) Macht gieren und bemüht sein müssen, keinen zu tiefen Einblick in ihre wahren Gefühle preiszugeben".
Sahra und Lafo auf Balkonien, Saargau
Kanzlerin und Herr Sauer am Ortlermassiv
WMM: Westerwelle, Mronz, Malle
Wer?
Angela Merkel, Bundeskanzlerin, mit Ehemann Joachim Sauer
Wohin?
Nach Südtirol. Sulden. War schon im Hotel zur Post. Liegt aber ein bisschen zu präsentiertellermäßig mitten im Ort. Jetzt logiert sie im "Marlet", etwas versteckt im Wald. Blick aufs Ortlermassiv haben beide. Vier Sterne auch. Das Tal hat ein bisschen was von DDR, aber in Panorama. Da ist die Welt zu Ende. Dahinter geht´s nicht mehr weiter, nur noch rauf auf die Dolomiten.
Was will sie da?
Sich erholen. Erst mal vom Sitzmarathon beim rituellen Wagnerfestspielbesuch in Bayreuth. Dann überhaupt. Rumschlunzen in Bequemklamottage. Kopf frei kriegen. Barolo statt Barroso. Möglichst wenig angequatscht werden. Und ordentlich die Beine vertreten, kommt sie ja sonst nicht zu. Aber alles mit Maß und mittlerem Tempo: Gerne geführte Touren, und wenn's zu riskant wird: besser umdrehen. Keine wilden Experimente. Keine große Aufregung. Die Frau urlaubt wie sie regiert.
Was will sie uns damit sagen?
Ich brauch' keinen Glamour, ich will meine Ruhe. Aufregung habe ich den Rest des Jahres über schon mehr als genug. Bisschen Frischluft, bisschen Wein, bisschen Wandern, fertig. Mehr braucht der bodenständige Mensch nicht. So macht die schwäbische Hausfrau Urlaub, wenn sie es mal krachen lassen will. Und schnell in Berlin ist sie auch wieder, wenn der Finanzmarkt steppt. Wer so seine Ferien verbringt, dem kann man auch sein Land anvertrauen.
Wiederholungstäterfaktor?
Hoch. Bayreuth: jedes Jahr. Südtirol: immer wieder, gern im Wechsel mit Ischia oder Capri. Ist auch mehr oder weniger Italien, nur in Insel. Da weiß man, was man hat.
Was wäre auch mal nicht schlecht?
Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Wer keine hat: vielleicht mal in die Wüste? Soll schon Wunder gewirkt haben.
Lektüreempfehlung?
E.L.James: Shades of Grey. Nein, nur ein Scherz. Dafür: Alles von Eric Ambler, laut Hitchcock "ein Mann, der sein Europa kennt, der die Politik und die Finanzen dieses Kontinents versteht". Spielt zwar lange vor dem Euro und den Berlusconis. Hat sich aber seither wenig geändert. Es wimmelt von Lumpen, Gierhälsen und Betrügern in- und außerhalb von Staatsämtern.
Sahra und Lafo auf Balkonien, Saargau
Kurt Beck bei de Leut' an der Mosel
WMM: Westerwelle, Mronz, Malle
Wer?
Rainer Brüderle, FDP-Fraktionsvorsitzender, mit Frau Angelika
Wohin?
Auf die Bodensee-Halbinsel Mettnau, in ein Reha-Zentrum mit 70er-Jahre-Flachbau-Charme. Ein Zimmer im Haus "Undine" gibt es schon für 97 Euro die Nacht pro Person. Für dekadentere Nächte können er und Angelika das "Apartmenthaus Seehalde" für 197 Euro beziehen.
Was will er da?
In Kampfform kommen. Brüderle, nach eigenen Angaben 1,80 groß, Konfektionsgröße 52, Wunschgewicht 80 Kilo. Zwei Kilo hat er dieses Jahr in 14 Tagen runter bekommen. Seine Methode: maximal 1200 Kalorien pro Tag, Frühsport um 7:20 Uhr, nachmittags Schwimmen und Fahrradfahren.
Was will er uns damit sagen?
Den zeige ich es noch, diesen flachbäuchigen Röslers, Bahrs und Lindners! Da können die noch so oft Marathon rennen, an mir 67-jährigem Leistungstier kommen die nicht vorbei. Die liegen jetzt faul in der Sonne, während ich mit meinem Thera-Band trainiere. Pah!
Wiederholungstäterfaktor?
Hoch. Ist schon das vierte Mal in Mettnau. Sein Vorbild ist sein Vater. Der hat bis 86 gearbeitet. Um es so weit zu bringen, wird sich Brüderle weiter jeden Sommer von Reha-Ärzten und Physiotherapeutinnen tunen lassen.
Was wäre auch mal nicht schlecht?
Wer wissen will, wie man jung bleibt, sollte mal da hin gehen, wo die Jungen sind. Warum nicht mal Berlin jenseits des Regierungsviertels statt Bodensee und Rheinland-Pfalz?
Lektüreempfehlung?
Johannes Heesters: "Auch hundert Jahre sind zu kurz". Warum nur bis 86 arbeiten? In der FDP gilt doch das Leistungsprinzip. Wenn schon, dann sollte Brüderle sich richtig ambitionierte Ziele setzen.
Sahra und Lafo auf Balkonien, Saargau
Kurt Beck bei de Leut' an der Mosel
Kanzlerin und Herr Sauer am Ortlermassiv
WMM: Westerwelle, Mronz, Malle
Wer?
Guido Westerwelle, Außenminister, mit Lebenspartner Michael Mronz
Wohin?
Malle. Oder wie die Diplomaten gerne sagen: Mallorca. Vor fremden Einblicken geschützt, auf einer Anhöhe in Palmas Nobelviertel Son Vida liegt die Villa von Westerwelle und Mronz. Hat nicht ganz Boris-Becker-Format, macht dafür weniger Ärger. Und Platz ist auch in kleineren Hütten: 2000 Quadratmeter Grundstück, 400 Quadratmeter Wohnfläche, 60 Quadratmeter Pool laut "Mallorca-Zeitung"; 1,9 Millionen Euro soll das gekostet haben.
Was will er da?
Definitiv nichts Aufregendes erleben. Keine schnellen Yachten. Westerwelle: "Herr Mronz wird zu schnell seekrank." Nicht zu viel Sonne. "Ich war noch nie so der 'Strandtyp'." Wenn die beiden ihre Villa verlassen, dann höchstens, um eine Runde zu joggen oder um in eine Kunstgalerie nach Palma zu fahren. Und auf keinen Fall Partys! Lieblingsbeschäftigung von Michael Mronz (eigene Aussage): "Die Abendsonne genießen in einer Bucht und dem Rauschen und den 'Gewalten' des Meeres lauschen."
Was will er uns damit sagen?
Mallorca, das ist fast so deutsch wie meine Heimat, das Rheinland - nur mit besserem Wetter! Ich mag als FDP-Chef laut und schrill gewesen sein, und ja, ich bin der erste schwule Außenminister. Doch eigentlich ist niemand normaler und deutscher als der wahre Guido Westerwelle.
Wiederholungstäterfaktor?
Ausgesprochen hoch! Westerwelle hat sich schon mit fünf Jahren die Füße im mallorquinischen Sand verbrannt. Sein Vater hat ihm auf Mallorca schwimmen beigebracht, indem er im offenen Meer einfach die Luft aus den Schwimmflügeln gelassen hat. Vielleicht muss er diese Kindheitstraumata aufarbeiten. Er kommt auf jeden Fall jedes Jahr wieder.
Was wäre auch mal nicht schlecht?
Eine Sprachreise. Sein Englisch hat sich ja mittlerweile verbessert. Damit sollte er sich nicht zufrieden geben. Da er sich selbst gerne als Vorkämpfer der Arabischen Frühlings darstellt, wäre ein Arabisch-Kurs nicht schlecht.
Lektüreempfehlung?
"Die zweite Karriere. Karriereplanung für die zweite Lebenshälfte" von Barbara Jakob und Michael Kres. Mit dem Außenminister wird es ab 2013 ja wohl nichts mehr. Also, besser vorbereitet sein.
Sahra und Lafo auf Balkonien, Saargau
Kurt Beck bei de Leut' an der Mosel
Kanzlerin und Herr Sauer am Ortlermassiv
Wer?
Claudia Roth, Grünen-Vorsitzende
Wohin?
Ins eigene Ferienhaus auf die türkische Halbinsel Bodrum, dem "türkischen St.Tropez". Die schmucke Hütte (nicht ganz die Nobelkategorie wie das Anwesen Westerwelles) liegt mitten im noblen Gündogan-Bezirk (Gündogan? Natürlich: Nationalspieler mit Migrationshintergrund von Borussia Dortmund, siehe auch: Was will sie uns damit sagen?). Für den Erwerb der Immobilie vor sieben Jahren war mutmaßlich aber eher ausschlaggebend, dass die Terrasse ökologisch korrekt um einen alten Olivenbaum herumgebaut wurde.
Was will sie da?
Kraft tanken. Abschalten. Und auf den Spuren von Odysseus die "Seele baumeln lassen", was nichts anderes ist als die Übersetzung für: morgens lange schlafen, mittags lange schwimmen, abends lange essen. Roth liebt Kichererbsenpüree und kann nach eigener Aussage "gute Börek" machen. Wenn sie nicht schläft, nicht schwimmt und nicht kocht liest sie "Schweden-Krimis".
Was will sie uns damit sagen?
Erstens: Die Türkei gehört in die EU! Zweitens: Holt mehr Fußballer mit Migrationshintergrund (Gündogan!) in die Nationalmannschaft. Drittens: Ich bin echt spießiger als ich aussehe.
Wiederholungstäterfaktor?
Kaum zu überbieten. Roth fährt schon seit 20 Jahren in die Türkei. Das Land ist nicht nur ihre "zweite Heimat", die Türkei ist auch "meine Freundin". Solche Töne zu Deutschland - und Roth geriete in ihrer eigenen Partei unter schweren Patriotismusverdacht!
Was wäre auch mal nicht schlecht?
Politisch? Sotchi. Liegt auch am Meer. Liegt auch auf einer Halbinsel. Liegt menschenrechtsmäßig auch viel im Argen. Außerdem wäre das ein idealer Ort, um dort gegen jene Umweltsünden zu protestieren, die für die Olympischen Spiele begangen werden.
Lektüreempfehlung?
Majid Sattar: "...und das bin ich" - Guido Westerwelle. Eine politische Biografie. Da kann sie überprüfen, ob sie neben dem Ferienhaus- auch das Außenminister-Gen in sich hat.
Sahra und Lafo auf Balkonien, Saargau
Kurt Beck bei de Leut' an der Mosel